SAP Sales und Service Cloud V2: Lohnt sich der Umstieg?
Seit 2023 führt SAP die neueste Generation der Sales und Service Cloud, die Version 2 (V2), in ihrem Portfolio – und kontinuierlich kommen neue Releases. Doch lohnt sich der Umstieg? Wir schauen genau hin und zeigen, in welchen wesentlichen Punkten sie sich von der Vorgängerversion unterscheidet und welche Möglichkeiten sich bieten.
SAP C4C war früher das Maß aller Dinge, wenn es um Cloud-basierte Sales- und CRM-Lösungen ging. Und SAP C4C war auch die Basis für die Sales und Service Cloud. SAP hat die Hauptfunktionen wie den Lead-to-Order-Prozess und die 360-Grad-Kundensicht beibehalten, aber zugleich weit über ein einfaches Update hinausentwickelt.
Viele Kunden jedoch haben bislang den Wechsel gescheut. Doch der Druck steigt. Angesichts der erweiterten Funktionalitäten der SAP Sales und Service Cloud V2 und der immer kürzer werdenden Release Notes der vorherigen Version stellt sich zunehmend die Frage: Lohnt sich jetzt der Umstieg auf V2?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir tiefer einsteigen und schauen, was die SAP Sales und Service Cloud V2 kann – und was vielleicht nicht.
Die Architektur
Die SAP Sales und Service Cloud V2 ist eine Cloud-native Anwendung, welche der Microservices-Architektur benutzt. Im Gegensatz zur monolithischen Architektur des Vorgängers können die unabhängig voneinander einsetzbaren, lose gekoppelte Dienste eingeständig entwickelt, bereitgestellt und skaliert werden.
Das ist ein großes Plus, wirkt sich das nicht nur positiv auf die Performance aus, sondern fördert auch Ausfallsicherheit und ermöglicht einen flexibleren Umgang mit Updates. Speziell in sich heutzutage schnell ändernden IT-Umgebungen ist das vorteilhaft. Dank der Neugestaltung der technologischen Maßstäbe im CRM-Softwareumfeld können Agilität und Flexibilität noch besser gelebt werden.
Die Schnittstellen
Auch hier spielt die SAP Sales und Service Cloud V2 ihre Stärken aus. Schließlich ermöglichen Integrationsprinzipien auf Basis der Application Programming Interface (API)-Entwicklung eine bessere Integration mit externen Anwendungen, eine vordefinierte Stammdatenintegration mit SAP S/4HANA und Mashup-basierte UI-Integration.
Außerdem gibt es mehrere Möglichkeiten zum Exportieren oder Importieren von Daten von und zu Nicht-SAP-Systemen. Dazu gehören die Verwendung von CSV-Dateien für den Datenimport/-export, vorgefertigte Autoflows, um Ereignisse bei Datenänderungen im V2-System auszulösen, sowie REST-APIs.
Standard ist auch die Integration von MS Teams. Gerade diese war häufig gefordert worden. Weiterer Bonus: Die SAP Sales und Service Cloud V2 ermöglicht das Teilen und Bearbeiten von Deal Rooms und Arbeitsbereichen direkt in MS Teams und unterstützt so in diesem Sinne nicht nur ausgehende Anrufe.
Die Benutzeroberfläche
Im Jahr 2024 muss so gut wie niemandem mehr die Bedeutung von User Interface and Experience bzgl. Applikationen erklärt werden. Das ist auch hier nicht anders. Das Ziel bei der Entwicklung der neuen Lösungen war eindeutig: UI und UX sollten den Alltag der User erleichtern und erheblich effizienter gestalten. Dies passiert hier in zwei wesentlichen Bereichen:
- Werteauswahl: Es ist nicht mehr nötig, zu separaten Such- und Auswahlbildschirmen zu navigieren. Die Funktion ist direkt in die Auswahl integriert.
- Direkte Feldbearbeitung: Felder können durch einfaches Anklicken geändert und die relevanten Werte ausgewählt oder eingegeben werden. Die Änderungen werden automatisch gespeichert, womit ein „Speichern“-Button überflüssig und ein zusätzlicher Klick gespart wird.
Dies wurde entwickelt, um eine stärkere Verbindung zwischen Objekten zu gewährleisten. Die Folge ist eine reibungslosere und schnellere Navigation im Vergleich zur älteren Version. Dazu kommt, dass die Architektur die Gelegenheit bietet, mehrere Leute am selben Objekt gleichzeitig arbeiten zu lassen. Das ist ein extrem großer Vorteil, da man damit unnötige Mails oder Gespräche und somit Wartezeit in Zukunft noch besser vermeiden kann.
Der Aktivitätsmanager
SAP hat eine neue zentrale Funktion – nämlich den Activity Manager – umgearbeitet und auf das nächste Level gebracht. Im Vergleich zu SAP C4C können hier alle Aktivitäten wie Aufgaben, Termine, Telefonate und Besuche auf einem einzigen Bildschirm angezeigt werden, um sie von ein- und derselben Seite zu bearbeiten. Beim C4C war das nur schwer möglich. Das lässt vor allem dem Vertrieb die täglichen organisatorischen Herausforderungen leichter verwalten.
Um in Zukunft das Vertriebsleben noch leichter zu gestalten, plant SAP hier den Einsatz von KI noch weiter auszubauen. So beispielsweise kann AI heute schon anhand von historischen Kontakt- und Kontodaten bzw. Interaktionen einen E-Mail-Entwurf verfassen, mit der der tiefere Verkaufsprozess gestartet wird. Anderseits können wir durch AI personalisierte Fragen für ein Discovery-Call generieren lassen, die im Rahmen des Verkaufsgesprächs genutzt werden können.
Hierzu gibt es allerdings eine Einschränkung: Nur mit dem Kauf der Lizenz SAP AI Unit ist es möglich die AI-Funktionalität zu nutzen.
Der Arbeitsbereich für den digitalen Verkauf (Digital Selling)
Heutzutage passiert Vertrieb in erster Linie online. Dies führte zu Wunsch und Notwendigkeit gleichermaßen, mit einem Blick eine Übersicht über alle relevanten, verfügbaren Inhalte und Funktionen zu bekommen, darunter KPIs, Agenda, zuletzt durchgeführte Interaktionen, Aufgaben, Leads oder Opportunities.
Hier kommt der Digital Selling Workspace ins Spiel. Er dient dazu, Zeit zu sparen, unnötiges Navigieren zu reduzieren und damit die Produktivität zu steigern. In SAP C4C fehlte das. Und genau das war es, was vielen C4C Usern den Alltag stark erschwert hatte, da man ständig zwischen C4C-Fenstern wechseln musste.
Guided Selling
Guided Selling ist nicht neu, das Thema bereits aus SAP C4C bekannt. Der Unterschied besteht aber darin, dass es nun keine Add-on-Lösung mehr ist, sondern mit der SAP Sales und Service Cloud V2 als Standard eingeführt wurde.
Wie von vielen gewünscht, bietet die Funktion eine interaktive Kanban-Übersicht über die Opportunities mit zahlreichen Filter- und Auswahlmöglichkeiten. Einerseits kann man die Opportunity mittels Drag-and-Drop von einer Phase in eine andere schieben, ohne in detaillierter Sicht aus der Opportunity zu gehen. Anderseits wird mit dynamischen Playbooks der Prozess der Deal-Bearbeitung und des Abschlusses effizienter gestaltet, indem automatisch Handlungsempfehlungen für die User bereitgestellt werden.
Die integrierte Machine-Learning-Option macht allgemein die Handhabung noch leichter. Dazu zählt unter anderem das Lead & Opportunity Scoring, was anhand der Aktivitäten und Daten eine Bewertung errechnet und zuweist. Ebenso analysiert es zum Beispiel die der Häufigkeit und Aktualität des E-Mail-Verkehrs und anhand dieser Informationen bestimmt es die Stärke der Kundenbeziehung („Relationship Strength“). Weiterer Vorteil: Das Pricing wurde im Vergleich zu früheren Versionen deutlich optimiert.
Das Case Management
In der SAP Sales und Service Cloud V2 ersetzt der „Case“ die „Ticket“-Funktionalität aus SAP C4C. Auch diese wurde umgearbeitet. So befinden sich die Funktionen und Informationen nun auf einem einzigen Bildschirm. Ein geführter Prozess leitet die User zudem zu einer schnellen Lösungsfindung, was auch hier zu höherer Produktivität und Effizienz führt.
Dank der Integration von KI ist es möglich, die Lösungszeit in Bezug auf Wissensdatenbank und auf ähnliche Cases erheblich zu verkürzen. Die KI kann aufgrund des Inhaltes der Wissensdatenbank oder des früheren Cases einen umfassenden Lösungsvorschlag erstellen. In diesem Fall muss der User nur kurz die Mail prüfen und kann diese dann einfach dem Kunden schicken.
Außerdem hilft KI die Cases besser zu priorisieren. Anhand des Inputs schätzt die KI den Zufriedenheitsgrad des Kunden und hilft den Usern, den Case entsprechend zu priorisieren. Und auch danach gibt es Hilfestellung durch die KI. So packt diese alle Infos in eine Zusammenfassung, die später zur Lösung von anderen Cases verwendet werden kann. Die Zusammenfassung kann man auch generieren, wenn das Ticket von einem Bearbeitenden zu einem anderen übergegeben werden soll. Zusätzlich profitieren die User noch von KI-unterstützten Prüfungen wie beispielsweise eine automatisierte Sprachprüfung inkl. Übersetzungen.
Die Entwicklung
SAP hat auch seine Herangehensweise in Bezug auf die Entwicklung geändert. In-App-Erweiterungen wie UI-Anpassungen von Layout, benutzerdefinierte Felder, Validierungen und Mashups sind dank der Architektur auch in der SAP Sales und Service Cloud V2 verfügbar, wurden jedoch im Vergleich zur Vorgängerversion flexibler gestaltet. Die bisher bekannte SDK-Entwicklungsumgebung gibt es hingegen nicht mehr.
SAP verfolgt im Bereich der Entwicklung einen neuen Ansatz mit „No-Code / Low-Code“ mithilfe von SAP Build (auch bekannt als AppGyver). Die komplexeren Erweiterungen müssen daher auf der Business Technology Plattform (BTP), wo es in Sachen Programmierung viele Möglichkeiten gibt, neu implementiert werden, etwa als Side-by-Side-Extension. Laut SAP aber ist es ratsam, die Sprache CAP (Cloud Application Programming Model) zu verwenden. Durch die Entwicklungsumgebung in der Public Cloud ergibt sich der Vorteil, dass man nicht speziell für das CRM eine eigene Entwicklungsumgebung mit einer eigenen Sprache benötigt.
Das Reporting
Reporting (Business Analytics), welches in SAP C4C integriert ist, ist in der SAP Sales und Service Cloud V2 nicht mehr vorhanden. SAP nutzt stattdessen SAP Analytics Cloud (SAC) als Option.
In der SAP Sales Cloud V2 kann „Embedded SAC“ verwendet werden, um das Reporting abzubilden, wenn man noch keinen eigenen SAC-Tenant hat. Dieser würde eigentlich noch umfangreichere Möglichkeiten bieten, erfordert aber auch eine eigene Lizenz. Daher ist es im Zuge der Transformation empfehlenswert, im Voraus zu überprüfen, welche Berichte erforderlich sind und ob diese in der Embedded SAC dargestellt werden können.
Das Fazit: Umstieg mit viel Potenzial, aber auch Arbeit
Zusammengefasst lässt sich sagen: Die SAP Sales und Service Cloud V2 stellt einen bedeutenden Fortschritt dar. Herausstechend sind die moderne Architektur sowie die KI-gestützten, innovativen Funktionen, die zu einer deutlich verbesserten Benutzererfahrung sowie mehr Flexibilität führen.
Die Entscheidung zur Migration sollte jedoch auf einer gründlichen Bewertung der spezifischen Bedürfnisse und der Bereitschaft der gesamten Organisation basieren. Wer eine SAP-C4C-Einführung oder einen Wechsel aus CRM 7.0 plant, für den macht es Sinn, sich gleich für die SAP Sales und Service Cloud V2 zu entscheiden. Weiters empfehlenswert ist ein Wechsel auch für Unternehmen, die ihr SAP C4C mit wenig PDI-Programmierung implementiert haben.
Unternehmen mit vielen PDI-Lösungen in SAP C4C hingegen müssen mit deutlich höherem Aufwand rechnen. Erschwerend hinzu kommt, dass die komplexen Schnittstellen auch zu einem großen Teil neugestaltet werden müssen. Unternehmen mit einem umfangreichem Scope also müssen genau schauen, ob der Mehrwert nach einem Wechsel von SAP C4C zur SAP Sales und Service Cloud V2 wirklich größer ist als der Aufwand. Entsprechend kann hier mit der Implementierung noch etwas gewartet werden.
So oder so, eine Sache ist sicher: Die SAP Sales und Service Cloud V2 bringt die Arbeit in Vertrieb und Service auf ein neues Niveau. In Zukunft wird für kein Unternehmen mehr ein Weg daran vorbeigehen.
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